DFG-Schwerpunktprogramm „Jüdisches Kulturerbe“
Laufzeit: 2022–2028
Mit einer Laufzeit von sechs Jahren, aufgeteilt in zwei Förderphasen, wurde mit dem Schwerpunktprogramm „Jüdisches Kulturerbe“ eine Infrastruktur geschaffen, die es bundesweit Forschenden aus den unterschiedlichsten Disziplinen ermöglicht, jüdisches Kulturerbe samt seinen Konstruktionen und Manifestation kritisch zu betrachten und gemeinsam zu reflektieren. Im Zentrum des Schwerpunktprogramms stehen im Speziellen die Entwicklungen des gesellschaftlichen und kulturpolitischen Stellenwerts und Umgangs mit jüdischem Kulturerbe in Europa angesichts der Bedingungen wachsender kultureller, sozialer und religiöser Diversität.
Die heutigen Gesellschaften sehen sich zunehmend politischen Herausforderungen gegenübergestellt, die mit Fragen von Identität und „transhistorischer Gerechtigkeit“ verknüpft sind. Reaktionen darauf sind politische Projekte, die – wie die Idee eines geeinten Europas – über das Paradigma des Nationalstaats hinausgehen, aber auch wiederauflebende nationale Bewegungen, die nicht selten anti-europäisch, antisemitisch und rassistisch eingestellt sind.
Vor diesem Hintergrund avanciert „jüdisches Kulturerbe“ zu einer Ressource für politische Intervention von paradigmatischer Qualität, mittels derer die Gesellschaften zu „Toleranz“ erzogen werden sollen. Dabei drängt sich die Frage auf, was aus dem bisherigen Umgang mit jüdischem Kulturerbe für die heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen abgeleitet werden kann.
Anliegen des SPP ist daher eine Reflexion der Diskursivierung des kulturellen Erbes europäischer Juden unter Einbeziehen der Critical Heritage Studies. Damit verbunden ist eine Neubetrachtung der Konzepte „jüdisches Kulturerbe“ (als kulturpolitische Ressource) und „Jewish Heritage“ (als Gesamtheit aller Ausdrucksformen jüdischen Lebens) sowie der mit ihnen verknüpften Prozesse. Ausgangspunkt der Diskurse des SPP ist daher eine kritische interdisziplinäre Auseinandersetzung mit den Entstehungszusammenhängen, Transmissions- und Innovationsprozessen jüdischen Erbes sowie die Frage nach Strategien zur Einbindung jüdischer Gemeinschaften und Institutionen in die Prozesse der Patrimonialisierung ihres Erbes.
Ziel des SPP ist es, „jüdisches Kulturerbe“ in neuer Weise transdisziplinär zu betrachten und bisherige wissenschaftliche, denkmalpflegerische, museologische und kulturpolitische Arbeiten auf diesem Gebiet kritisch und damit zukunftsweisend zusammenzuführen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten um Darstellungsformen und Restitution der im kolonialen Kontext geraubten Kulturgüter soll jüdisches Kulturerbe mit Einbindung jüdischer Akteur*innen neu diskutiert und definiert werden.
Das SPP führt dabei diverse Disziplinen zusammen, die sich mit den Gegenständen und Konzepten jüdischen Erbes befassen: Methoden und Forschungsgegenstände werden in interdisziplinär angelegten Teilprojekten und projektübergreifenden Formaten ausgetauscht und abgeglichen. Neben den einschlägigen Disziplinen Jüdische Studien, Geschichte oder Literaturwissenschaft wird vor allem der Blick „von den Rändern“ auf Konzepte und Gegenstände jüdischen Erbes mit einbezogen: Musikwissenschaft, Architektur, Archäologie, Kunstgeschichte, Denkmalpflege, Museologie, Philosophie, (empirische) Kulturwissenschaften / -anthropologie und Critical Heritage Studies werden Perspektiven liefern, die eine neue Zusammenschau ermöglichen.